1928 bis 1977

 
Im Jahre 1928 feierte der Wormser Schachverein sein 50-jähriges Bestehen. In den 50 Jahren davor trat man kaum einmal in die Öffentlichkeit. Das Vereinsleben spielte sich fast nur im Rahmen des Spielabends ab, der Ausdruck Kaffeehaus-Schach ist hier durchaus als richtig anzusehen. Denn neben diesen freien Partien gab es keinerlei schachliche Betätigung, etwa bei Vereinsmeisterschaften oder anderen Turnieren. Dies änderte sich erst Mitte der Zwanziger Jahre, als die sog. „Arbeitsgemeinschaft Mannheim-Ludwigshafen“ entstand. Der Wormser Schachverein und andere Vereine traten ihr bei; Ziele waren das Knüpfen von Kontakten und die regelmäßige Austragung von Freundschaftsspielen, da ein Ligaspielbetrieb zu dieser Zeit noch nicht durchgeführt wurde. Auf dieser Basis erfolgte dann 1928 der Eintritt in den Pfälzischen Schachbund.

Der unverkennbare Aufschwung des WSV in dieser Zeit ist eng verknüpft mit den Namen Lehrer König, Dr. Bachl und Karl Ripberger. Durch ihr Engagement gelang es, Verbindung zu anderen Vereinen herzustellen und außerdem auch viele neue Vereinsmitglieder zu gewinnen. Die wohl wichtigste Aufgabe fiel dabei dem 2. Vorsitzenden Dr. Ernst Bachl zu. Ihm oblag, was man damals noch Propaganda nannte, also die Öffentlichkeitsarbeit. Dr. Bachl, der auch selbst ein sehr starker Spieler und eine Größe in Sachen Schachunterricht war, schaffte es endlich, den WSV „in die Zeitung zu bringen“. Ab dem Jahre 1931 wurden regelmäßig Berichte abgedruckt; der dadurch erzielte Werbeeffekt muss sehr hoch eingeschätzt werden. So ist u. a. zu lesen von Freundschaftsspielen gegen Frankenthal, Grünstadt oder auch gegen die Oberrealschule Worms.

Zum ersten Mal wurde 1931/32 über eine Vereinsmeisterschaft berichtet, genannt „Winterturnier“. Über frühere Austragungen sind keine Aufzeichnungen zu finden gewesen. Gespielt wurde in drei Klassen, wobei sich der Sieger der 1. Klasse Klubmeister nennen durfte.

Sicherlich erwähnenswert ist die Tatsache, dass bereits damals mehrere Frauen das Vereinsleben bereicherten; auf Grund der zu dieser Zeit herrschenden Gesellschaftsverhältnisse und –strukturen wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Durch ihre Spielstärke tat sich besonders Frau Liesel Scherr hervor, die so manchen ihrer männlichen Mitstreiter das Fürchten lehrte.

Das Vereinslokal „Europäischer Hof“ im Jahre 1931.

Das Jahr 1933 mit seinen grundlegenden politischen Umwälzungen (nationalsozialistische Machtergreifung) brachte auch für den Wormser Schachverein einige Veränderungen mit sich. Es ist an dieser Stelle nicht die Aufgabe des Chronisten, irgendwelche Bewertungen oder politische Statements zu äußern; vielmehr geht es darum, objektiv über das Vereinsleben zu berichten. Und unbestritten kann gesagt werden, dass – und dies gilt im Übrigen für fast alle Sportarten – der Spielbetrieb professioneller gestaltet wurde. Am deutlichsten zeigte sich dies in der Einführung von Mannschaftswettbewerben auf Bezirks- und Kreisebene sowie einer Kreiseinzelmeisterschaft. Der WSV war hierbei mit zwei Mannschaften vertreten und kämpfte gegen die Konkurrenz aus Ludwigshafen, Frankenthal, Bürstadt, Bensheim oder Pfeddersheim. Ein bedeutendes Ereignis des Jahres 1933 war die 1. Nationale Schachwerbewoche. Wie im ganzen Deutschen Reich präsentierte sich auch in Worms der örtliche Schachverein der Öffentlichkeit. Für den Wormser Schachverein brachte die Schachwerbewoche viel Arbeit mit sich. Durchgeführt wurden u. a. ein Meisterturnier, ein Jugendturnier, ein Blitzturnier mit 40 Teilnehmern, Simultanveranstaltungen von Dr. Bachl und Jacob Stuhlmiller sowie ein Problemlöse-Wettbewerb.

Natürlich geschah dies alles mit allzu eindeutigen Hintergedanken, betrachteten doch die neuen Machthaber Schach als „Wehrspiel“. Überhaupt ist es interessant zu verfolgen, wie sich die „Zeitungssprache“ veränderte: Es wurde nicht mehr von „Wettspielen“ gesprochen, sondern von „Großkämpfen“ oder „Massenkämpfen“. Viele Schachberichte endeten mit dem heute durchaus merkwürdig anmutenden Ausdruck „Schach-Heil“. Beispiel gebend sei hier wie folgt zitiert: „Deutsche spielt Schach, denn im Schachverein herrscht deutsche Gesinnung und das Schachspiel erzieht wie kein anderes Spiel Liebe zu Volk und Vaterland!“ Dass die erwähnte „deutsche Gesinnung“ auch den Ausschluss von Juden aus den Sportvereinen beinhaltete, darf keinesfalls vergessen werden und ist ein ganz trauriges Kapitel für jeden Verein. Im Reigen der Abertausenden von opportunistischen Vereinigungen, die den neuen Machthabern teilweise nur allzu willig folgten, bildete der Wormser Schachverein leider keine rühmliche Ausnahme.

Simultanveranstaltungen waren in dieser Zeit eine beliebte Abwechslung im Vereinsleben. Sie wurden regelmäßig durchgeführt, und der Zuschauerandrang war oftmals sehr reichlich. Die bedeutendste Veranstaltung dieser Art war sicherlich die Simultanvorstellung von Efim Bogoljubow im April 1935. Bogoljubow zählte zu den stärksten Spielern seiner Zeit, gewann eine Reihe von großen internationalen Turnieren und kämpfte einmal sogar gegen Alexander Aljechin um die Schachweltmeisterschaft. Dass es gelang, diesen Ausnahmekönner zu gewinnen, unterstreicht den Stellenwert, den der WSV besaß. Die Spielstärke des Vereins stand ohnehin außer Frage, gelang es doch nicht weniger als 13 Spielern – darunter fünf Frauen –, gegen den Meister ein Remis zu erreichen. Aber auch andere Koryphäen des königlichen Spiels gaben in Worms ihre Visitenkarte ab, so der russische Spitzenspieler Kirpitschnikoff, der deutsche Fernschachmeister Rogmann sowie die Herren Steinkohl, Emil Josef Diemer u. a. m.

Auch auf Verbandsebene konnte der WSV teilweise bedeutende Erfolge vorweisen. So stellte man beispielsweise 1935 das größte Teilnehmerkontingent für den Pfälzischen Schachkongress und gewann dort 1937 zwei Titel. Der Pfalzkongress Anfang Juni bildete traditionell das Ende des Schachjahres, denn man betrachtete Schach viel eindeutiger als Wintersportart, als dies heute der Fall ist. Um das entstehende „Sommerloch“ zu schließen, wurde im Wormser Schachverein das sog. Forderungsturnier durchgeführt. Dabei hatten die Spieler die Möglichkeit, die durch das Ergebnis des Winterturniers entstandene interne Rangliste zu verändern. Das rege Vereinsleben des Wormser Schachvereins wurde auch durch sog. Propagandaspiele bereichert. Unter der Federführung von Dr. Bachl unternahm man Fahrten in die umliegenden Städte, Gemeinden oder auch Stadtteile von Worms, um dort Menschen für das Schachspiel zu begeistern. Diesem Ansinnen war durchaus Erfolg beschieden, was sich an den immer weiter steigenden Teilnehmerzahlen bei den Kreiseinzelmeisterschaften zeigte. Hieran nahmen immer mehr Spieler aus den Vororten teil und konnten den WSV-Akteuren oftmals Paroli bieten. Von Vereinsseite her wurde dieser Entwicklung Rechnung getragen, indem man das alljährliche Winterturnier auch für Nicht-Vereinsmitglieder öffnete; so entstand 1938 die Wormser Stadtmeisterschaft.

Im gleichen Jahr konnte der WSV seinen 60. Geburtstag feiern. Standesgemäß wurde eine Reihe von Jubiläumsveranstaltungen durchgeführt, beginnend mit einem 16-Städte-Vergleichskampf (!) an jeweils zehn Brettern. Über 200 Schachspieler versammelten sich im Mozartsaal des Festhauses und kämpften um den Sieg. Die Städtevertretungen waren in zwei Teams geteilt, Mittelrhein und Pfalz. Die „Mittelrheiner“ mit Spielern aus Frankfurt, Wiesbaden, Mainz, Rüsselsheim und Darmstadt siegten am Ende mit 57,5:44,5. Neben dem eigentlichen Wettkampf gab es ein großes Festbankett sowie eine Stadtführung, bei der u. a. der Backfischfest-Umzug bestaunt wurde.

Des Weiteren wurden 1938 wieder mehrere große Simultanveranstaltungen abgehalten, bei denen sich die Meister Lissé und Steinkohl den Wormsern stellten. Zum Vereinsjubiläum passend, gelang der ersten Mannschaft des Wormser Schachvereins in diesem Jahr der Aufstieg in die Gauklasse. Diese war damals – als es noch keine landesweiten Meisterschaften gab – die höchste Spielklasse, mit Vereinen aus Ludwigshafen, Kaiserslautern und Pirmasens.

Der Mozartsaal des Festhauses (Wormser Tageszeitung 04.09.1938).

Doch dann kam das Jahr 1939, der Zweite Weltkrieg warf zunächst seine Schatten voraus und wurde schließlich am 1. September Wirklichkeit. Man darf davon ausgehen, dass das Schachleben in Worms nicht schon unmittelbar nach Kriegsbeginn zum Erliegen kam. In den Zeitungen wurde jedoch seit Juli 1939 nicht mehr über den WSV berichtet. Durch die Umstellung der deutschen Wirtschaft auf die Kriegsbedürfnisse wurde an vielem gespart, gerade an Papier. Und die Schachberichte erschienen den Redakteuren gleich zu Beginn als entbehrlich. So ist es heute nicht mehr möglich festzustellen, inwieweit und wie lange der Wormser Schachverein im Krieg weitergeführt wurde, ob Turniere oder Freundschaftskämpfe stattfanden usw.

Fest steht, dass der WSV – wie alle Sport- und sonstigen Vereine – 1945 von den Besatzungsbehörden aufgelöst und verboten wurde. Erst nach und nach wurden wieder neue Vereine zugelassen; einer der ersten war der FC Blau-Weiß Worms. Diesem – eigentlich reinen Fußballverein – gliederte sich im Juli 1947 eine Schachabteilung an, bestehend aus vielen Mitgliedern des ehemaligen WSV. Man war froh, endlich eine Heimstätte gefunden zu haben und den regelmäßigen Spielbetrieb aufnehmen zu können. Die Vereinsmeisterschaft wurde wieder durchgeführt, ebenso wie Vergleichskämpfe mit Städten aus der Umgebung. Als „Schachabteilung des FC Blau-Weiß Worms“ trat man 1948 wieder dem neu gegründeten Pfälzischen Schachbund bei. Von Anfang an nahm der WSV seine vor dem Krieg innegehabte Stellung an der Spitze erneut ein. Regelmäßig entsandte man Spieler zum Pfälzischen Schachkongress sowie zu Vergleichskämpfen mit Vertretungen aus Hessen, Baden oder vom Mittelrhein. Der internationale Meisterspieler Lissé (oftmals unter dem Pseudonym „Wormatius“ auftretend) gab mehrere Simultanveranstaltungen und wirkte zeitweilig auch als Schachtrainer. Erstmalig in der Vereinsgeschichte wurde nun auch spezielles Jugendtraining angeboten. Ein bemerkenswerter Coup gelang dem Wormser Schachverein im September 1950: Der weithin bekannte deutsche Großmeister Jacques Mieses konnte für eine Simultanvorstellung an zwanzig Brettern gewonnen werden und demonstrierte im Alter von 85 Jahren allerhöchste Schachkunst.

Trotz aller Erfolge wurden immer mehr Stimmen laut, die eine Wiedergründung des Wormser Schachvereins unter seinem ursprünglichen Namen forderten. Auf der Generalversammlung des FC Blau-Weiß im Jahre 1951 wurde dies beschlossen; und die Schachabteilung wurde mit Wirkung vom 1. April als „Wormser Schachverein von 1878“ selbstständig. 1. Vorsitzender wurde Heinrich Kiefer senior, ihm zur Seite standen die beinahe schon legendären Persönlichkeiten Lehrer König und Dr. Bachl. Die Neugründung geschah nicht zuletzt mit Hinblick auf das anstehende Jubiläum im Jahre 1953. In den zwei Jahren bis dahin sollte sich der Verein weiter prächtig entwickeln. Besonders zu erwähnen ist sicherlich die Gründung einer Damenabteilung innerhalb des Vereins Anfang 1953.

„Worms im Zeichen des königlichen Spiels“ – so lautete die Schlagzeile des Wormser Monats-Spiegels anlässlich der Schach-Festwoche vom 10. bis 17. Mai 1953. In ihrem Rahmen wurde auch der Pfälzische Schachkongress durchgeführt; zum ersten Mal in seiner Geschichte also nicht in der Pfalz, sondern in Rheinhessen. Es war für den WSV eine wahre Herkules-Aufgabe, Meisterturnier, Jugendturnier, Damenturnier, Blitzturniere, einen Problemlösewettbewerb sowie mehrere Simultanveranstaltungen auszurichten. Hinzu kam noch ein Länderkampf Pfalz – Hessen, den die hessische Auswahl für sich entscheiden konnte. Sämtliche Turniere verliefen reibungslos und waren ausgezeichnet organisiert. Für den WSV errang Pia Kiefer die pfälzische Damenmeisterschaft; Adam Müller wurde Zweiter im Hauptturnier. Das Rahmenprogramm außerhalb der eigentlichen Wettkämpfe war ebenfalls aller Ehren wert. Neben einem grandiosen Festabend gab es eine Stadtführung mit Lehrer Dr. Illert, über die noch Jahre danach in den höchsten Lobestönen gesprochen wurde. Von vielen Seiten wurde dem Wormser Schachverein danach bescheinigt, den besten Pfalzkongress aller Zeiten ausgerichtet zu haben. Es war ein wahrhaft würdiger Rahmen für die Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen des Vereins.

Siegerehrung des Jugendturniers beim Pfalzkongress 1953. Foto: privat.

Nur zwei Jahre nach seiner Wiedergründung hatte sich der WSV endgültig in alter Größe etabliert und blickte hoffnungsvoll in die Zukunft. Diese Zukunft sollte sich in den kommenden Jahren außerordentlich positiv gestalten.

So qualifizierte sich Pfalzmeisterin Pia Kiefer für die Deutschen Damenschachmeisterschaften, bei denen sie einen guten Mittelplatz belegen konnte. Überhaupt war das pfälzische Damenschach in den 50er Jahren fest in Wormser Hand – Pia Kiefer und Liesel Scherr machten die Meisterschaften beinahe jährlich unter sich aus; und bei den Deutschen Meisterschaften erreichten sie regelmäßig Platzierungen unter den ersten Zehn.

Die Damen bewährten sich nicht zuletzt auch in den Mannschaftskämpfen auf Pfalz-Ebene. Hier gelang der ersten WSV-Mannschaft 1956 der Aufstieg in die Pfälzische Landesklasse. Nach mehreren zweiten Plätzen in den Vorjahren war man nun in der damals höchsten Spielklasse (vergleichbar mit der alten Fußball-Oberliga) angelangt.

Eine große Zäsur in der Vereinsgeschichte der 50er Jahre bedeutete die Einführung der „Wormser Königsspiele“. Die Königsspiele sind untrennbar mit ihrem Initiator Hubert Teupe – heutiger Ehrenpräsident des WSV und des Schachbundes Rheinhessen – verbunden. Bei der ersten Austragung im Jahre 1956 – wie in den folgenden Jahren immer zur Zeit des Backfischfestes – bestanden sie aus einem Jugendturnier, der Stadtmeisterschaft, einem Einzel- sowie einem großen Mannschaftsblitzturnier, an dem sich insgesamt 24 Teams beteiligten. Die Königsspiele wurden bald ein fester Bestandteil auch des überregionalen Schachkalenders und sahen mehrere internationale Großmeister am Start, die oftmals stark besuchte Simultanvorstellungen gaben.

Dass ein Jugendturnier am Beginn der Veranstaltungen stand, war keineswegs zufällig. Denn der Wormser Schachverein betrieb in dieser Zeit erstmals eine zielgerichtete Jugendarbeit, die schon bald entsprechende Erfolge zeitigte. Sehr rasch gelang es, etwa 25 junge Schachfreunde für den Verein zu gewinnen; wiederum unter Führung des unermüdlichen Dr. Bachl, der sich nochmals in den Dienst des WSV stellte. Auch Hubert Teupe zeigte sich hier sehr engagiert, wurde er doch 1961 zum Jugendwart des Pfälzischen Schachbundes gewählt. Wollte man am Ende der 50er Jahre eine Bilanz aufstellen, sähe diese außerordentlich positiv aus: – erste Mannschaft in der höchsten Spielklasse – regelmäßige Teilnahme von WSV-Spielerinnen an der DM – ein deutschlandweit bekanntes Turnier – eine große Jugendabteilung – führende Rolle bei Kreis- und Bezirksmeisterschaften. Die Mitglieder des Wormser Schachvereins konnten eingedenk der obigen Auf­zählung wahrlich stolz auf die geleistete Arbeit sein und hatten allen Grund, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.

Zu Beginn der 60er Jahre blieb der WSV durch Liesel Scherr weiterhin dominierende Kraft im Pfälzischen Schachbund. Auf Seiten des vermeintlich starken Geschlechts traten allmählich neue Akteure in den Vordergrund. Prägend für diese neue Zeit waren vor allem Namen wie Günther Nikulski, Benno Jastroch oder Lothar Keller. Erstgenannter belegte beim Schachkongress 1961 in Speyer den zweiten Platz im Meisterturnier, die beste Platzierung, die bis dato ein Wormser Spieler erringen konnte. Überhaupt war das Jahr 1961 ein überaus erfolgreiches. Wieder einmal war es gelungen, in Person von Ex-Weltmeister Wassili Smyslow und Großmeister Mark Taimanow echte „Hochkaräter“ für eine Simultandoppelveranstaltung an 77 Brettern zu gewinnen; ein Jahr später sollte Wolfgang Unzicker folgen. Ein großer öffentlichkeitswirksamer Coup gelang Hubert Teupe, auf dessen Anfrage hin das Deutsche Fernsehen eine Reportage über die Königsspiele sendete. Fernsehberichte über dieses Turnier sollten in den folgenden Jahren zur Regel werden. Quasi gekrönt wurde dies alles durch den Aufstieg der 1. Mannschaft in die Meisterklasse und die erstmalige Eintragung in das Vereinsregister: Aus WSV von 1878 wurde WSV von 1878 e.V.

Impressionen von den Königsspielen 1961. Foto: privat.

Die nächsten Jahre standen im Zeichen einer Konsolidierung auf hohem Niveau. Zwar musste die erste Mannschaft 1964 die Meisterklasse (vergleichbar mit der heutigen Oberliga) verlassen, schaffte im darauf folgenden Jahr aber den direkten Wiederaufstieg. Vereins- und Stadtmeisterschaften – seit 1958 war auch noch ein Pokalturnier mit der Wormser Zeitung als Namensgeber und Pokalstifter hinzugekommen – waren regelmäßig hart umkämpft, als dominierender Spieler tat sich immer stärker Joachim Kullmann hervor, gefolgt von den Jungtalenten Peter Bender und Rudolf Benninger sowie bewährten Kräften wie Jastroch, Keller und Nikulski. Die drei letztgenannten halten dem WSV bis auf den heutigen Tag die Treue und sind aktiv am Vereinsleben beteiligt, sei es als Spieler oder Ratgeber in vielen Fragen. Im Bewusstsein, dass nur eine energisch vorangetriebene Jugendarbeit den Verein langfristig erhalten kann, wurde selbige immer wieder gefördert. Spitzenspieler Joachim Kullmann bot daher in den Wintermonaten regelmäßige Trainingsstunden an, die sich immer sehr guten Besuchs erfreuten. Die Jugendspieler wurden in den folgenden Jahren mehr und mehr zu Stützen in den Mannschaftskämpfen des WSV und verhalfen der ersten Mannschaft, sich Ende der 60er Jahre wieder in der Regionalliga Pfalz zu etablieren. Bald kam es dann auch zur Bildung einer Jugendgruppe. Kontinuität wurde auch und gerade in der Vorstandsarbeit geleistet. Mit einer kurzen Unterbrechung führte Heinrich Kiefer sr. den Verein seit 1951; bei den Jahreshauptversammlungen wurden er und seine Vorstandschaft regelmäßig mit großen Mehrheiten in ihren Ämtern bestätigt.

Rauchende Köpfe bei den Stadtmeisterschaften 1966. Foto: privat.

Das Jahr 1968 stand dann ganz im Zeichen des 90-jährigen Vereinsbestehens, anlässlich dessen der Wormser Schachverein wieder den Pfälzischen Schachkongress ausrichtete. Zuvor fand in der Wormser Jugendherberge die Pfälzische Jugendeinzelmeisterschaft statt; WSV-Spieler konnten sich hier noch nicht entscheidend in Szene setzen. Beim Pfalzkongress sollte dies allerdings ganz anders werden: Im Meisterturnier lieferten sich der Wormser Wolfgang Jäger und der Frankenthaler Oskar Rahn ein totes Rennen. Erst in der vierten (!) Entscheidungspartie musste Jäger sich schließlich geschlagen geben. Den Damentitel errang einmal mehr Liesel Scherr, die auch mit ihren inzwischen 61 Jahren auf der pfälzischen Ebene nahezu konkurrenzlos war. Ein Jahr später sollte Wolfgang Jäger – ununterbrochener Stadtmeister von 1966 bis 1969 – es noch besser machen. In Kaiserslautern gewann er als erster Spieler des Wormser Schachvereins das Meisterturnier. Überhaupt war der 38. Pfalzkongress aus Wormser Sicht der erfolgreichste aller Zeiten. Neben Liesel Scherr, die ihren insgesamt zehnten Titel errang, konnte sich auch Vereinsvorsitzender Heinrich Kiefer sr. in die Siegesliste eintragen: Er gewann das offene Seniorenturnier.

Stichkampf um die Pfalzmeisterschaft. (Wormser Zeitung 14.09.1968)

Für die Wormser Schachlandschaft brachte das Jahr 1969 noch eine einschneidende Änderung: Der ESV Worms bildete eine Schachabteilung und trat schon in der folgenden Saison zu Mannschaftskämpfen an. Vornehmlich bestand die Abteilung aus Eisenbahnern, doch auch WSV-Spieler wie Benno Jastroch schlossen sich ihr an. In der Folgezeit entwickelte sich eine ernste aber doch stets freundschaftlich-sportliche Konkurrenz zwischen beiden Vereinen.

„Schachverein ohne Nachwuchssorgen“, so lautete die Schlagzeile der Wormser Zeitung vom 6. November 1971. Und das anbrechende Jahrzehnt sollte in der Tat von der Schachjugend maßgeblich mitgeprägt werden. Beim alljährlich durchgeführten Jugendturnier siegte der damals 15-jährige Gregor Werner zum ersten Mal. Es sollte nur vier weitere Jahre dauern, bis Werner erstmals Vereinsmeister werden konnte. Die Jugendspieler kamen meist in der dritten Mannschaft zum Einsatz, die mit Vereinen aus Roxheim, Eisenberg, Frankenthal, Herrnsheim oder Kirchheimbolanden in der Bezirksklasse Nordost um Punkte kämpfte. Die zweite Mannschaft war inzwischen in die Landesklasse Ost aufgestiegen, nur eine Spielklasse unter der Regionalliga Pfalz. Die Stadtmeisterschaften – mittlerweile regelmäßig in der Bahnhofsgaststätte stattfindend – erfreuten sich einer stets steigenden Teilnehmerzahl; 1972 war man bereits bei 32 Startern angelangt.

Von links nach rechts: Porr jr., Kiefer sr., Kullmann, Keller, Tischer, Nikulski, Kiefer jr., Benninger, Herrmann. Stehend: Bertz und Walter. (Wormser Zeitung 16.03.1973)

Die auf dem Foto abgebildeten elf Herren schafften in der Saison 1972/73 den Aufstieg in die damals höchste deutsche Spielklasse, die Oberliga Saar-Pfalz. Gegen Vereine wie St. Ingbert, Frankenthal, Miesenbach, Neustadt, Ludwigshafen und Saarbrücken wurde in der ersten Saison ein ehrenvoller sechster Platz erreicht; Gregor Werner gehörte nun schon zu den Leistungsträgern. Folgerichtig war er 1974 nach dem Gewinn der Pfälzischen Jugendmeisterschaft der erste männliche WSV-Akteur, der sich für eine Deutsche Meisterschaft qualifizierte. Liesel Scherr hatte zuvor schon mehrfach an der Deutschen Damenmeisterschaft teilgenommen. Der größte Erfolg war ihr dabei im Jahre 1965 beschieden, als sie den dritten Platz belegte.

Aber auch die Senioren des Wormser Schachvereins zeigten ihr Können, so z. B. beim Schachkongress 1975 in Bad Dürkheim. Im Seniorenturnier belegte Heinrich Kiefer sr. den zweiten Rang, gefolgt von der fast achtzigjährigen Schachlegende Dr. Ernst Bachl, dem es aber auf Grund von heute nur noch schwerlich nachvollziehbaren persönlichen Streitigkeiten verwehrt wurde, sein großes Jubiläum zusammen mit seinen Vereinskameraden zu begehen. Doch mag es sich der Chronist an dieser Stelle nicht anmaßen, über Geschehnisse und Personen zu urteilen, die er nur aus Schriftstücken und Erzählungen kennt.

Wichtige Schriftstücke in der Vereinsgeschichte bildeten die Mitgliederrundschreiben, genannt „WSV Kontakt“. Beginnend im Jahre 1972 wurden die Vereinsmitglieder alle zwei Monate über das Vereinsgeschehen umfassend informiert. Enthalten waren Ergebnisse aus Mannschaftskämpfen und Turnieren, Geburtstage, Ehrungen, eine von Gregor Werner betreute Problemschachecke sowie Neuigkeiten aus der Schachwelt. Verantwortlicher Alleinredakteur war Heinz Kiefer jr., zeitweise unterstützt von Oswald Götzenbrucker. Im Jahre 1976 war dort wohl zum ersten Mal der Name eines damals 12-jährigen Talents namens Thomas Steinkohl zu lesen, der gerade Schüler-Bezirksmeister geworden war. Zusammen mit Gregor Werner sollte er wenige Jahre später die jugendliche „Doppelspitze“ des Wormser Schachvereins bilden. Zunächst sollten jedoch noch die vermeintlich „Alten“ ihre Rolle spielen, wenn auch eher im zweiten Glied. Der inzwischen fast 70-jährige Heinrich Kiefer sr. trat 1976 von seinem Amt als Spielleiter des Schachbezirks I (Nordost) zurück und setzte in den folgenden Jahren seine ganze Kraft für den WSV ein. Eine Kraftprobe der ganz besonderen Art hatte in einem Oberligakampf der ersten Mannschaft Karlfried Bertz zu bestehen. Seine Hängepartie gegen Pirmasens erstreckte sich über sage und schreibe 12 Stunden und 150 Züge! In der heutigen Zeit, da nur noch die Rede von Bedenkzeitverkürzung ist, wird man solch eine Anekdote kaum noch erzählen können.

(Daniel Hendrich, Worms im September 2006)