Die kleine
Schach-Geschichte
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Das Schach-Spiel ist eines der ältesten Brettspiele. Wahrscheinlich ist es in Indien entstanden und kam von dort nach Persien und verbreitete sich dann im ganzen arabischen Raum. Heute spielen Menschen auf der ganzen Welt Schach. Viele sagen: Es ist das spannendste und vielseitigste Spiel, das es gibt. Der Name „Schach” kommt von dem persischen Wort „Schah” und bedeutet: König. Schon vor vielen hundert Jahren haben die Menschen überlegt: Woher kommt das Schach-Spiel? Wer hat es erfunden? Und weil es auf diese Fragen keine genaue Antwort gab, haben sich die Menschen Geschichten ausgedacht. Eine dieser Geschichten möchte ich hier nacherzählen. Sie stammt aus Persien und ist fast 800 Jahre alt:
Vor langer Zeit regierte in Indien der Herrscher Shihram. Er war ein
Tyrann (= Gewaltherrscher) und seine Untertanen litten sehr unter ihm. Da
erfand der Weise Sissa das Schachspiel. Mit diesem Spiel wollte er dem
strengen Herrscher zeigen, wie wichtig für einen König seine Untertanen
sind. Der König auf dem Schachbrett braucht die Bauern, Läufer, Springer
und so weiter - ohne sie ist er verloren. Und genauso ist ein wirklicher
König auf seine Untertanen angewiesen. Das sollte der strenge indische
König lernen. Das ist der erste Teil der alten Geschichte aus Persien. Die Geschichte ist erfunden, es ist eine Legende. Sie gibt eine schöne Erklärung für die Entstehung des Spiels - und sie zeigt den Menschen, dass alle aufeinander angewiesen sind, die ‘Starken’ auf die ‘Schwachen’ und umgekehrt. Nun folgt die überraschende Fortsetzung der Geschichte: König Shihram war dem Weisen Sissa sehr dankbar für das neue Spiel und für die Belehrung. Er führte Sissa zu seiner Schatzkammer und sagte ihm: „Du darfst dir wünschen was du willst, du sollst es bekommen!” Sissa dachte nach und sagte dann zum König: „Ich wünsche mir nichts von deinen Schätzen. Ich habe einen anderen Wunsch.” Er ging mit dem König zu einem Schachbrett und sagte dann zum König: „Das ist mein Wunsch: Ich möchte Weizenkörner von dir. Lege auf das erste Feld des Schachbretts ein Korn und dann auf jedes weitere Feld des Schachbretts doppelt so viele Körner wie auf dem Feld davor.” (Also: auf dem zweiten Feld 2 Körner, auf dem dritten Feld 4 Körner, auf dem vierten Feld 8 Körner und so weiter...) - Da wurde der König zornig. Er schrie: „Ich habe dir all meine Schätze angeboten - und du willst nur ein paar Weizenkörner von mir haben?? Willst du mich beleidigen?” - „O nein, mein Herr,” sagte Sissa, „bestimmt möchte ich dich nicht beleidigen. Bitte erfülle mir meinen Wunsch, dann wirst du sehen, dass es ein großer Wunsch ist.” - Der König rief seine Diener und befahl ihnen, das Schachbrett so mit Körnern zu belegen, wie Sissa es wünschte. Die Diener holten Weizen und fingen damit an. Doch schon bald merkten sie: Es ist unmöglich, diesen Wunsch zu erfüllen. Sie kamen zum König und sagten zu ihm: „Wir können Sissas Wunsch nicht erfüllen.” - „Warum nicht?” fragte der König wütend. Da antworteten sie ihm: „Aller Weizen unseres Landes und dazu der Weizen unserer Nachbarländer ist nicht genug, um diesen Wunsch zu erfüllen. So viel Weizen gibt es gar nicht.”
So hat der König Shihram eine zweite Belehrung von Sissa erhalten. Er hat
gelernt, dass man das Kleine und Geringe nicht unterschätzen soll.
Das Schachspiel hat sehr einfache Regeln und bietet trotzdem unendlich
viele Möglichkeiten. Und die Schach-Geschichte mit den Weizenkörnern ist
für mich ein kleines Beispiel dafür, dass auch in den kleinen, einfachen
Dingen große Überraschungen und manchmal auch Wunder stecken können. Roland Martin
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